Gesprengtes Denken 2

Im Lukas-Evangelium lenkte Jesus angesichts der Frage nach dem Kommen des Reiches Gottes den Blick seiner Jünger auf das Beispiel eines ungerechten Richters, der einer unnachgiebig fordernden Witwe ihr Recht verschaffte, weil sie ihm viel Mühe machte. Wenn schon ein ungerechter Richter nur deshalb tätig würde, weil er gedrängt wird, wie könne dann Gott seinen Auserwählten, die Tag und Nacht zu ihm rufen, nicht auch Recht verschaffen, schlussfolgerte Jesus. Und dabei blieb er nicht stehen, er sagte ihnen ausdrücklich zu, dass es in Kürze so sein würde. Fettgedruckt steht diese Antwort Jesu in der Übersetzung der Bibel durch Luther. Nicht mehr fettgedruckt ist aber leider die Frage Jesu, mit der er diese Antwort abschloss:

„Doch wenn der Menschensohn kommen wird, wird er dann Glauben finden auf Erden?“ (Lukas 18,8)

Viel Schauen nach Zeichen und Wundern in dieser Welt und viel Streben nach den Dingen, die in dieser Welt wichtig zu sein scheinen, wird Jesus sicher finden, wenn er wiederkommt, aber was ist mit dem Glauben an das, was wir nicht sehen? Was ist mit dem Glauben an das unsichtbare, aber ewige Reich Gottes, das mit der gegenwärtigen irdischen Welt so wenig zu tun hat, wie es Sinn macht, neuen Wein in alte Schläuche zu füllen oder neue Lappen auf alte Kleider zu flicken? Leben wir schon darin, wenn auch in ständigen Neuanfängen, oder sterben wir noch darauf zu?
Der göttliche Plan sprengt unser menschliches Denken und nicht einmal Paulus wollte von sich behaupten, diesen Plan ergriffen zu haben. Das hindert uns jedoch nicht daran, ihm wie Paulus unermüdlich nachzujagen. Aber wie Paulus es so oft zum Ausdruck brachte, müssen wir uns dazu vor Augen halten, dass dieser göttliche Plan weit über die vergängliche Welt hinausreicht, dass der eigentliche Zielpunkt des Evangeliums in unserer Heimat im ewigen Reich Gottes liegt und wir in dieser gegenwärtigen Welt nicht zuhause sind.
Was dem unmittelbaren Leben in diesem Reich, während unserer Zeit im vergänglichen irdischen Leib, im Weg steht, ist unsere Gefangenschaft im menschlichen Denken. Solange wir das Geschenk Gottes an uns Menschen, das Evangelium vom Reich Gottes, unausgepackt unter dem Osterbaum liegen lassen, das Geschenkpapier nicht wie ungeduldige Kinder zerfetzen, uns nicht unermüdlich damit auseinandersetzen, es nicht neugierig erforschen und auf diesem Weg ansatzweise begreifen und zu unserem Leben machen, wird sich an dieser Gefangenschaft nicht wirklich etwas ändern, ehe wir nicht von Angesicht zu Angesicht vor Gott stehen.

Aus: „Himmlische Heimat – Vom Potenzial eines verdrängten Geschenks“ (S. 108-110), Andreas Mast. Siehe Buchprojekte

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